MAZEDONIEN - Roter Wein lässt träumen

Die kleine Balkanrepublik drängt in die Europäische Union. Edle Tropfen und nachhaltiger Tourismus sollen die Wirtschaft ankurbeln. Doch ein alter Streit mit Griechenland um den Staatsnamen behindert den Fortschritt. 



Mit geschultem Blick steigt Lazar Petrov den Weinberg hinauf und kontrolliert den Rebschnitt. Der 27-Jährige hat die Haare hochgegelt. Selbst im Weinberg trägt er Seidenanzug und Krawatte. Dass er seinen Traumjob als Weingut- und Hotelmanager ausgerechnet in Demir Kapija, seinem mazedonischen Heimatdorf, finden würde, hätte er als Student nicht zu hoffen gewagt. Er war sicher, nur außerhalb der Republik Mazedonien sein Glück machen zu können. „Nach meinem Examen als Dolmetscher kellnerte ich zwei Jahre in Paris und habe all das gelernt, was ich heute auf unserem Gut benötige“, erzählt er. Doch während eines Besuchs bei seinen Eltern vor vier Jahren wurde ihm die Leitung des neuen Weingutes Popova Kula angeboten. „Da habe ich gewusst, dass ich nie wieder nach Frankreich gehen werde“, erinnert sich der junge Manager.


Wie in der Toskana 


Popova Kula thront hoch über dem Dorf. Ein Ensemble aus Granit gemauert und mit Rundbögen verziert. Mit seiner mediterranen Architektur könnte es auch in der Toskana stehen. Neben dem Hotel und dem Restaurant führt ein Gang ins Herz des Weinguts. Ebenerdig werden die hellen Trauben vergoren, unter der Erde die roten. In Eichenfässern lagern Rotweine. 

Lazar Petrov ist mit dem Weinanbau aufgewachsen. Damals war Mazedonien noch eine Teilrepublik Jugoslawiens. Auf den Hängen rund um das Dorf Demir Kapija, was auf Deutsch „eisernes Tor“ heißt, wurde Wein für die staatliche Genossenschaft angebaut. „Jugoslawien war immer berühmt für seinen Wein“, sagt Petrov. „Allerdings kann man mit dem Verschnitt von damals auf dem europäischen Markt heute nicht mehr überzeugen.“

Petrov setzt deshalb auf Qualität. Anbau, Lese und Verarbeitung kontrolliert er streng. Das Weingut verarbeitet nicht nur eigene Trauben. Es hat auch zahlreiche Weinbauern der Region unter Vertrag. 2005 wurde die erste Ernte eingefahren, mittlerweile werden pro Jahr 600 000 Liter und 23 verschiedene Weine abgefüllt. Zu viel für den heimischen mazedonischen Markt, der mit gut zwei Millionen Konsumenten sehr überschaubar ist. Deshalb werden Weine wie der rote Vranec oder der weiße Zilavka nach Serbien, Polen, Großbritannien, Belgien und in die USA exportiert und prämiert. Allein im letzten Jahr wurden die roten Vranec und Cabernet Sauvignon auf Weinmessen in Split, Belgrad, Novi Sad und Mostar mit Gold ausgezeichnet, fünfmal errang das Weingut Silber.

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Hinter dem Weingut Popova Kula steht das börsennotierte Unternehmen Balkan Wines. Es war die erste mazedonische Firma überhaupt, die den Sprung aufs Parkett schaffte. Drei Jahre ist das nun her, doch Unternehmensgründer Jordan Trajkov ist so stolz wie am Tag der Erstnotierung. Vor allem Kleinaktionäre haben die Anteile gezeichnet. Auch darauf ist er stolz. „Ich sage immer, wenn alle Amerikaner Aktien von Microsoft besitzen, über Fonds zum Beispiel, weshalb können nicht auch alle Mazedonier Aktien unseres Unternehmens haben?“ 

Die Amerikaner haben ihn auch auf die Idee gebracht, ein Weingut zu bewirtschaften. Während seines MBA-Studiums in Phoenix, Arizona, besuchte der ausgebildete Banker auch das berühmte Weinanbaugebiet Napa Valley in Kalifornien. „Das war’s“, sagt er. „Ich hatte die Vision, Mazedonien könnte ein zweites Napa Valley in Europa werden.“

2001 ging Jordan Trajkov zurück in die Balkanrepublik, um das erste kleine High-Quality-Weingut zu gründen und in den Weintourismus zu investieren. „Allerdings fehlen uns nach wie vor Investitionen. Wir wollen so schnell wie möglich in die Europäische Union. Dann könnten wir EU-Gelder beantragen, um unseren Weintourismus weiter auszubauen“, meint er. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. 



1991 erklärte die Republik Mazedonien ihre Unabhängigkeit. 2005 verlieh ihr Brüssel den Status eines offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Doch verhandelt wird noch nicht. Schuld daran seien nicht nur die fehlende Rechtssicherheit und die schleppende Bürokratie in dem postkommunistischen Land, sagt Marian Malinov, Generalsekretär der Deutsch-Mazedonischen Wirtschaftsvereinigung in der Hauptstadt Skopje. Auch ein alter Streit mit dem Nachbarn Griechenland verbaut den Weg in die EU. Griechenland lehnt den Staatsnamen „Republik Mazedonien“ strikt ab, da auch Teile Nordgriechenlands zum historischen Mazedonien gehören. 

Trotzdem zählen Unternehmen aus dem Nachbarland zu den wichtigsten Investoren in Mazedonien. Deutsche Unternehmen halten sich hingegen zurück. Zu den wenigen Ausnahmen zählt die Deutsche Telekom. Der Energieversorger RWE will zwar zwei große Wasserkraftwerke bauen, kommt aber nicht voran. „Diese Ausschreibung wird schon zum fünften Mal verschoben. Niemand weiß, woran es liegt“, sagt Marian Malinov. „Die schleppende Bürokratie blockiert einfach alles.“ 

Um das Land fit für Brüssel zu machen, ist auch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) seit der Unabhängigkeit in Mazedonien aktiv. Jens Adler und sein Team haben sich vorgenommen, das neue Ministerium für lokale Selbstverwaltung bei der Reform seiner Behörden zu unterstützen, damit die regionale Wirtschaft besser entwickelt werden kann. Denn bisher wurde entweder zentral aus der Hauptstadt gesteuert oder vor Ort in den Gemeinden. In Regionen zu denken, wie es Brüssel verlangt, das sei völlig neu für Mazedonien, sagt Jens Adler. 


Testfall Regenbogenforelle 


Deshalb bietet die GTZ Training an, schickt Beamte auf Bildungsreisen nach Deutschland oder fliegt Berater ein. Nur so werden die Mazedonier verstehen, wie Abläufe und Strukturen in europäischen Behörden funktionieren. Und erst dann wird Mazedonien Geld aus den EU-Strukturfonds richtig beantragen können, die es bereits als Kandidat nutzen darf. „Mit unserem Training befähigen wir die mazedonische Regierung, nach Beginn der Beitrittsverhandlungen Mittel zu beantragen, die ihre Wirtschaft dringend benötigt“, sagt Jens Adler. „Es gibt hier viele junge und gut ausgebildete Arbeitskräfte, die noch viel zu wenig eingesetzt werden“, bedauert der Entwicklungshelfer. Vor allem in den Straßen der Hauptstadt Skopje sieht man junge, erfolgreiche Mazedonier, die mit ihren Neuwagen oder Motorrollern zur Arbeit eilen und mittags der sommerlichen Gluthitze in die Schatten der zahllosen Straßenbistros entfliehen. Skopje pulsiert, sprüht vor Energie, ist hell, schick, freundlich und südländisch. Sonst ist Mazedonien vor allem ländlich. 

Eine der fruchtbarsten Regionen des Landes liegt an zwei Gebirgsseen, dem Prespa- und dem Ohridsee, im bergigen Dreiländereck zwischen Mazedonien, Albanien und Griechenland. So weit das Auge reicht, erstrecken sich entlang der riesigen Gewässer Tomatenfelder, Pfirsich- und Apfelpflanzungen. Aber schlecht bezahlte Saisonjobs bei der Obsternte bieten den jungen Menschen keine Perspektive. Deshalb macht sich die GTZ gerade in diesem Gebiet für einen grenzübergreifenden und nachhaltigen Tourismus stark. Entwicklungshelferin Anica Palazzo ist froh, dass sie das Denken der Menschen in den letzten Jahren verändern konnte. An der Grenze zu wohnen galt früher als Sackgasse. Heute sehen die Leute in einem intensiven Austausch mit Albanien und Griechenland eine wirtschaftliche Chance. „Die Ohrid-Prespa-Region betrachteten die Mazedonier als vergessenen Teil des Landes“, erzählt sie. 



Beide Seen gehören teilweise zu den Nachbarstaaten. Für Touristen sei eine Anreise deshalb nur interessant, wenn sie die Seen überall problemlos entdecken könnten, auch wenn zwischen den Ufern eine Grenze liegt. „Ein Ziel, drei Länder“, erklärt Anica Palazzo das Prinzip. Die GTZ habe die Behörden ermuntert, mit ihren Kollegen in den Nachbarländern zu kooperieren. Später hat Anica Palazzo angeregt, ein Markenzeichen für die gesamte Region zu entwickeln, einen gemeinsamen Prospekt herauszugeben. Seit sieben Jahren vertritt sie die neue Destination auf internationalen Reisemessen. 

Allerdings müsse ein moderner Tourismus auch nachhaltig sein, sagt sie. Wenn sich drei Länder dieselben Seen teilen, dann müssten sie sich gemeinsam darum kümmern, dass die Gewässer sauber bleiben und ihre Umweltgesetzgebung angleichen. Zum Beispiel beim Schutz der Regenbogenforelle im Ohridsee: Um sie zu schützen, ist das Angeln auf der mazedonischen Seite seit langem verboten. In Albanien hingegen ist der Fischfang weiterhin erlaubt. „Durch unsere Zusammenarbeit haben die albanischen Partner das Problem erkannt und kämpfen nun immerhin für ein Fangverbot, konnten es aber bis heute nicht durchsetzen“, berichtet die GTZ-Koordinatorin. 

Immerhin sei der Tourismus rund um die Seen enorm gewachsen. Mit positiven Folgen. Das Bergdorf Vevceni zum Beispiel hat in den letzten Jahren kaum einer der Einwohner verlassen, um Arbeit im Ausland zu suchen. Hier hat Anica Palazzo die Leute stattdessen ermuntert, ihre frühere Fachwerkbauweise wieder aufzugreifen, und gut ausgeschilderte Rundwanderwege vorbei an sprudelnden Quellen eingerichtet. Sofort eröffneten Gaststätten und Hotels, die ihre Gäste zu heimischer Küche im traditionellen Ambiente aus rustikalem Holz und bunten Teppichen einladen. Gligor Kostojchinoski hat 2003 als Erster den Schritt in die Selbstständigkeit als Gastwirt gewagt. Heute können in Vevceni sieben Restaurants vom Tourismus leben. Gligor selbst will sein Hotel sogar noch erweitern. 

Als Gastarbeiter in Slowenien entdeckte er die wirtschaftliche Kraft des ländlichen Tourismus. Noch mehr Dynamik sähe er für sein Geschäft, wenn Mazedonien der Europäischen Union beitreten würde. Doch die alten Politiker blockierten die Entwicklung der Balkanrepublik. „Sie feinden sich an und behindern sich gegenseitig“, sagt er. „Es geht ihnen nicht um die Sache, sondern nur um die Macht. Wir aber benötigen junge Leute mit offenem Denken, die uns nach Europa führen.“ 


Ehrgeizige Pläne 


Mitglied der EU zu sein, würde auch helfen, Vorurteile abzubauen, meint der Verwalter Lazar Petrov. Wer über Mazedonien spreche, denke zuerst an das ehemalige arme Jugoslawien, an den Balkan, an Krieg. Aber hervorragender Qualitätswein, eine ausgezeichnete Küche mit regionalen Produkten und Personal, das jung, gut ausgebildet ist und fließend Englisch spricht, komme selten in den Sinn. Seine ausländischen Gäste seien von Popova Kula immer wieder überrascht. Weil seine Besucher aber im Schnitt nur zwei Tage bleiben, plant er einen Ausbau des Tourismus in der Region. Mit einem größeren Wellness- und Freizeitangebot könne man die Gäste vielleicht sogar eine Woche im Hotel von Popova Kula halten, meint Petrov. Schon heute sind mehr als 30 Mazedonier in Lohn und Brot, um die Versorgung des Weinguts sicherzustellen.



Lazar Petrov denkt aber noch weiter. Der junge Mann im edlen Seidenanzug weiß, dass sein Gutsbesitzer neue Absatzmärkte sucht. Beschreibt er seine Vision, gerät Petrov ins Schwärmen. „Ich sehe um uns herum ein ‚Demir Kapija Valley‘ entstehen“, sagt er. „Ein Winzer nach dem nächsten wird seine Qualitätsweine keltern, unser Name wird in aller Munde sein, und die Leute strömen her, um das mazedonische Napa Valley mit eigenen Augen zu sehen.“ 

QUELLE: MERKUR.de/2010