Steil und staubig ist die schmale Straße, die über den Bergpass führt. Tief und grün, aber nicht sehr bewaldet schmiegen sich die Täler an die gelbbraunen Berghänge des Osogovo-Gebirges mit seinen bis zu 2.200 Metern hohen und schneebedeckten Spitzen. Mazedonien, das Land der Berge und Seen. Unentdeckt und seit der Trennung 1991 vom heute ehemaligen Jugoslawien noch wenig bereist von Besuchern aus dem Westen. Das kleine Land mit seinen knapp 20.000 Quadratkilometern ist abwechslungsreich und hat viele Gesichter. Hier in den Bergen im Osten des Landes an der Grenze zu Bulgarien sind die Menschen landwirtschaftlich geprägt, orthodoxe Kirchen und Klöster erheben sich hier und da aus der Landschaft.
Kokino und Kuklica – mystische Steinformationen
Hier oben in den Höhen der Gebirgsstraßen ist das Leben karg, die Menschen leben von Schafen und Kühen, die allerorts auf den kargen Wiesen der Berge in Herden grasen. Ein Esel trägt die Last des Bauern, der an der Straße seinen Weg macht. Fasziniert beobachte ich, wie hier die Zeit still zu stehen scheint. Langsam und gemächlich mit stoischer Ruhe gehen die Menschen ihrer Lebensweise nach. Bauern, die von dem leben, was ihnen das Land und die Tiere geben. Eine geeignete Gegend, um zu sich zu finden, denke ich bei mir. Ganz anders als das gar nicht so ferne Skopje, die pulsierende und wachsende Hauptstadt Mazedoniens, in der ich noch wenige Stunden zuvor aufgebrochen war, um mich mit dem Auto die Bergstraßen hinauf zu quälen in Richtung Kokino. Die megalithische „Sternwarte“, die erst 2001 von Archäologen östlich von Kumanovo entdeckt wurde. Bestehend aus sieben, von den dort lebenden Menschen vor etwa 3800 Jahren in Stein gehauenen Markierungen, den so genannten Thronen. Der höchste davon befindet sich auf dem Berg Taticev in 1013 Metern Höhe. Ein steiler Fußweg führt mich hinauf zu den Felsformationen. Der Weg lohnt sich, denn die Aussicht ist grandios. Der Weitblick von diesem mystischen Ort in die tiefen Täler ist atemberaubend. Nicht weit entfernt finde ich noch eine Kuriosität aus Stein. In Kuklica stehen die Steinpuppen. Es sind skurril geformte Felsen die wie große Steinpuppen in der Landschaft stehen. Der Legende nach lebte hier einst eine schöne junge Frau, in die sich jeder Mann verliebte, der in ihre Nähe kam. Als sie einem ihrer Verehrer die Ehe versprach, sprach ein anderer einen Fluch über die ganze Hochzeitsgesellschaft aus, die daraufhin augenblicklich zu Stein wurde. Diese Anordnung der Felsen kann man an diesem denkwürdigen Ort noch genau erkennen. Unwillkürlich schießt mit Stonehenge in England in den Kopf, als ich die merkwürdigen Felsen erblicke.
Skopje – pulsierende Metropole an der Vardar
Auf und ab geht es nach Berovo, der kleinen Stadt nahe der bulgarischen Grenze. Lang und verschlungen sind die Straßen und so habe ich Gelegenheit an meine Eindrücke von der Metropole Skopje zurückzudenken. Die Stadt an der Vardar, dem Fluss, der 388 Kilometer lange Fluss im Nordwesten Macedoniens, der die Hauptstadt markant teilt in alten und neuen Part. Die Steinbrücke Kamen Most, das Wahrzeichen Skopjes verbindet die Altstadt, meist von albanisch-islamisch geprägter Bevölkerung geprägt, mit dem neuen Teil der Stadt. Im alten Teil wandle ich durch die Gassen des Alten Bazars und fühle mich in eine türkische Stadt versetzt. Das ehemalige türkische Bad, heute eine Galerie erhebt sich markant aus den Reihen der kleinen, gedrungen Häusern. Zahlreiche Teestuben, Restaurants, eine Karawanserei, viele kleine Lädchen, Schneidereien und was ein orientalisches Viertel sonst so zu bieten hat, erhaschen meine Blicke. Männer sitzen teetrinkend auf den Straßen, eine Moschee erhebt sich kurz vor der Steinbrücke. Das ist auch Skopje, denn die albanisch-stämmige Bevölkerung stellt fast 30 Prozent des Landes.
Als ob ich eine andere Welt erreiche, eröffnet sich mir der neue Teil der Stadt beim Überqueren der Steinbrücke. Der Zentralplatz wird dominiert von einem gigantischen Denkmal Alexander des Großen, einem markanten Treffpunkt in Skopje. Überhaupt erscheinen mir Denkmäler und Bauten in diesem Teil des Zentrums überdimensional, herausgeputzt, stolz und eindrucksvoll. Ich passiere das markante Holocaust-Museum und gelange zum Mutter-Theresa-Haus. Hier also ist die bekannte und inzwischen selig gesprochene Ordensschwester, die in Kalkutta eine Mission gründete 1910 geboren. Damals gehörte Macedonien noch zum osmanischen Reich und Skopje hieß Üsküb. Das 2009 errichtete, markante Haus in der Hauptstraße von Skopje dient als Erinnerungs- und Begegnungsstätte mit einer kleinen Kapelle im Inneren, in der auch Gottesdienste abgehalten werden. Ein Blick zurück auf die Altstadt vom Triumphbogen aus, der das neue Zentrum abgrenzt, auf die Skopsko Kale , das 482 n. Chr. Errichtete Kastell oberhalb der Stadt auf dem höchsten Hügel und die nahegelegene, markante Herz-Jesu-Kathedrale verdeutlichen mir, in welchem Wandel sich die Stadt auf engem Raum befindet. 700.000 Einwohner hat Skopje, viele Studenten und Geschäftsleute kommen hier her, erklärt mir meine Reiseleiterin Katerina, die als junge Tourismus-Fachkraft selbst das neue Gesicht Mazedoniens charakterisiert. Jung, gut ausgebildet und aufstrebend, so präsentiert sich das gegenwärtige Macedonien, dass den Anschluss nach Europa sucht. Skopje wächst, trotz aller Schwierigkeiten ethnischer und wirtschaftlicher Natur, mit denen das Land Macedonien zu kämpfen hat.
Und dieses Wachstum schaue ich mir von oben an. Das byzantinische Kloster St. Panteleimon aus dem 12. Jahrhundert mit einzigartigen Wandmalereien, oberhalb der Stadt im Ort Gorno Nerezi gelegen, ist nicht nur ein wundervoller Ort zum Ausspannen und Genießen. Von hier aus eröffnet sich auch der wohl faszinierende Ausblick auf Skopje. Darüber gelegen befindet sich nur noch das im jahr 2000 errichtete Milleniumskreuz auf 1040 Metern Höhe über der Stadt, das weithin als Zeichen sichtbar ist.
Die Provinz – Berovo oder das Landleben des Schäfers Jovan
Und während ich die Erlebnisse und Eindrücke der Hauptstadt Revue passieren lasse, erreiche ich den Ort Berovo. Ein verschlafenes Nest mit einem Kloster. Ein Kurort mit sauberer Luft und der Möglichkeit, von hier aus Wanderungen in die wilden Berge der Opstina Berovo oder auch den ursprünglichen Stausee zu unternehmen. Ich entscheide mich für eine Tour zum Schaf-Bauernhof Klepal in Maleshvo bei Berovo, nur 200 Meter von der bulgarischen Grenze entfernt.
Herzlich und offen ist der Empfang der Schäferfamilie, die ihren Kotten hier oben auf den Hügeln oberhalb des Waldes führt. Ein paar Kühe, aber viel mehr Schafe hat der Hof. 8 Menschen leben hier, allen voran der alte Jovan. 91 Jahre ist der Bauer und er hat schon viel erlebt auf dem Balkan. „So wie Mazedonien jetzt ist, gefällt es mir am besten“ erklärt er mir. „Das mit Titow hat nichts Gutes gebracht“ und meint die Zwangseinheit des ehemaligen Jugoslawiens. „Und alle, die vor ihm da waren, haben dem Land auch nichts gutes getan. Wir müssen versuchen, mit unseren Differenzen zu leben, damit die vielen Völker im Land friedlich miteinander leben“. Ich lausche gespannt den Worten des alten, aber dennoch völlig klardenkenden Bauern Jovan, der viele Zusammenhänge erkennen kann.
Ländliche Küche – gesund und bodenständig
Und dann wird’s wieder bodenständig. Ich schaue zu, wie Kaymak, der Frischkäse aus Schafsmilch, hergestellt wird. Gekocht, entwässert und gepresst erhält man schon nach einem Tag einen vollmundigen Weichkäse frisch aus der Natur.
Und was da alles aufgetischt wird! Ein wagenrad-großes, rundes Makalo-Brot aus Blätterteig mit Fleisch-Kartoffel-Füllung, dazu gekochtes Lamm- und Rindfleich, Zelmik genannt, ein bunter Shopska-Salat, das Bohnen-Gericht Tavche Gravche im Tontopf serviert und zum Abschluss ein süßer Kuchen. 40%-iger Rakia, der Schnaps aus Pflaumen gelagert in Maulbeer-Fässern, darf natürlich nicht fehlen, ebenso wie ein Schluck Weiß- oder Rotwein der Region. Macedonien hat eine reiche, gesunde Küche, mineralhaltig, frisch und bodenständig. Besonders in der Region um Berovo ist der Käse in zahlreichen Varianten ein wesentlicher Bestandteil aller Mahlzeiten. Wie gut, dass ich auf meiner Reise später noch die Ohrid-Forelle als deliziöses Fischgericht des Landes kennenlerne.
Und wo die gesunden Früchte und Gemüse herkommen erfahre ich auf meinem Weg zum nächsten Ziel Bitola. Denn von den Bergen aus Berovo kommend breitet sich vor mir ein schier endloses Tal aus, in dem der Ort Strumica liegt. Das ist der Gemüse-Garten des Landes. Überall blitzen die weißen Dächer der Gewächshäuser herauf, ein geschäftiges Treiben von Landwirtschaft und Ernte schlägt mir entgegen, als ich den Ort durchquere auf dem Weg zu einem der Weingüter der Region. Denn auch der Wein des Landes kommt vor allem hierher oder aus der Region um Skopje. Zahlreiche Weingüter öffnen ihre Türen und laden zur Verkostung der dort angebauten und produzierten Tropfen ein.
Kuchen oder was?
Rot blühender Mohn durchsetzt die Felder in großen Flächen und zeugt nicht nur von einem besonders mineralhaltigen Boden, sondern malt die Landschaft in farbenfrohen Tönen an, die gepaart mit dem saftigen grün der Plantagen und dem gelben Raps durchsetzt von blauen Kornblumen ein buntes Landschaftsbild abgeben.
Ohrid – der See und der Westen des Landes
Die Großstadt Bitola im Süden als Wirtschaftszentrum hinter mir lassend erreicht man nach wenigen Stunden Ohrid. Der See glitzert in der Sonne und das blau des Wassers eröffnet ein Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit an diesem beliebten Ferienort Macedoniens. Dabei verläuft die Grenze zu Albanien genau hier mitten durch den See, so dass das gegenseitige Ufer bereits einem anderen Land angehört.
Kleine Boote wiegen im Wasser am Hafen von Ohrid, an dem sich die Altstadt gedrungen den Hang der Berge hinaufschiebt. Beeindruckend umringt den Ort das Korab-Gebirge mit seinem höchsten Berg Golem Korab, der stolze 2764 Meter Höhe zählt. Schneebedeckt sind die Spitzen der höchsten Erhebungen hier, obwohl der laue Frühling bereits Temperaturen im 20-Grad-Bereich mitbringt. Das Galicia-Gebirge im Süden des Landes mit seinem berühmten Nationalpark ist im Sommer ein beliebtes Wandergebiet, in dem man mit etwas Glück auch Wölfe und Bären sichten kann. Ich belasse es bei einer Erkundung des Ortes Ohrid. Ein Bummel durch den Alten Bazar, dem größten des Balkans, bringt mir die Handwerkskunst der Region näher. Denn Schnitzereien und Papierherstellung gehören ebenso zu den traditionellen Handwerkskünsten, wie die Verarbeitung von Perlen, die im Ohrid-See gefischt werden.
Kloster St. Naum
Etwas kirchliche Kultur muss auch hier sein. Ein Besuch des Klosters St. Naum aus dem 9. Jahrhundert verdeutlicht mir eindrucksvoll die Kunst der orthodoxen Freskenmalerei, die Szenen aus dem dort begrabenen Heiligen St. Naum und anderen Heiligen darstellen. Denn das Kloster wurde um 895 vom von dem heiligen Naum mit der Unterstützung der bulgarischen Zaren Boris I. Und Simeon I. gegründet. Naum, der Schüler der Heiligen Kyrill und Method war, erwarb sich vor allem Verdienste um die Schaffung der altslawischen Schriftsprache. Nach dem Tod von Naum am 23. Dezember 910 wurde das Kloster ihm zu Ehren gewidmet und umbenannt. 1870 zerstörte ein Feuer das Kloster bis auf die Klosterkirche. Die heutige Anlage wurde in der darauffolgenden Zeit errichtet.
Mich zieht es weiter, die nahe Grenze zu Albanien reizt mich für einen Blick auf die andere Seite des Landes und so begebe ich mich mit Pass ausgestattet in einem kurzen Fußmarsch von nur 15 Minuten problemlos über die mazedonische und dann über die albanische Grenze. Ein solcher Spaziergang, der durchaus eine Seltenheit im Grenzverkehr beider Länder darstellt, ist eine willkommene Abwechslung, die mich besinnen lässt, wie dicht hier die Länder zusammenliegen. War ich doch gerade erst in Berovo direkt an der bulgarischen Grenze im Osten des Landes, so stehe ich nun vor der albanischen Grenze, auch die griechische ist nicht weit. Der Balkan lebt, bewegt sich, ist keinesfalls ruhig, aber desto mehr interessant. Denn die Menschen hier pflegen ihre Kulturen unabhängig von Landesgrenzen, nebeneinander statt gegeneinander.
Auf meinem Weg zurück nach Skopje passiere ich die Dörfer um die Stadt Gostivar, hier wehen mir albanische Flaggen entgegen, obwohl wir noch in Macedonien sind. Ganz anders sind hier die Menschen und die Kultur, ländlich, orientalisch. Und doch leben diese Menschen hier schon über 100 Jahre in einem Miteinander mit den orthodox geprägten Macedoniern. Es ist schon bemerkenswert: Das kleine Mazedonien trägt einen großen Namen. Seine Erde war Wiege von Philipp II., Vater jenes berühmten Alexander des Großen, welcher sich aufmachte den Osten zu erobern. Mut und Wendigkeit sind dem Volke bis heute eigen. So haben sich die orthodoxen Mazedonier vor 23 Jahren friedlich und per demokratischen Beschluss unabhängig gemacht und leben trotz einiger Scharmützel, im Alltag friedlich mit der islamisch-albanischen Minderheit.
Matka Schlucht
Bevor ich das Land verlasse, wartet auf mich noch ein besonderes Erlebnis der Natur. Die Matka-Schlucht, ein einzigartiges Biosphären-Reservat im Westen der Hauptstadt Skopje hat eine Fläche von ca. 5.000 Hektar. Ich treffe hier eines der beliebtesten Erholungs- und Tourismusziele Macedoniens an. Zahlreiche Höhlen, die kleinste davon hat eine Länge von bis zu 200 Metern Tiefe sind hier anzutreffen, laut Experten die vermutlich tiefsten Unterwasserhöhlen der Welt. Eine Bootsfahrt oder auch eine Wanderung auf dem des sechs Kilometer langen Pfad, der sich entlang der gewaltigen Felsen schlängelt, bietet ein erhebendes Naturerlebnis. Die Felswände drängen das grüne Wasser in der Schlucht zusammen und erheben sich drohend über dem Tal. Die unwirklichen Farben bewirken eine skurrile Atmosphäre, die mich als Besucher in das Innere des Tals zieht und die Neugierde weckt, was hinter dem nächsten Felsvorsprung wohl zu entdecken ist.
Entdecken ist ein wichtiger Begriff geworden in den wenigen Tagen, in denen ich kreuz und quer durch das Land gereist bin von Norden nach Süden, nach Westen und wieder zurück in die Hauptstadt Skopje. Viel erlebt und doch nur einen Bruchteil des kleinen Landes auf dem Balkan gesehen, nur eine Winzigkeit der Geschichte erfasst, nur einen Hauch der markanten Gastfreundschaft des Landes erlebt. Wie gut, dass es inzwischen so leicht ist, von Deutschland aus hierher zu kommen. Macedonien wächst an Europa an, ist schon da, aber zum Glück noch nicht so überlaufen, als dass sich nicht mehr die Ursprünglichkeit des Landes und der Menschen unverfälscht erleben lassen. Einzigartigkeit entsteht durch Vielseitigkeit. Und davon hat dieses land eine menge zu bieten.
Text: Philip Duckwitz
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