Das Geheimnis der Seen am Balkan


Europas älteste Seen liegen im Dreiländereck von Albanien, Mazedonien und Griechenland. Die Unesco hat sie als "Museum lebender Fossilien" zum Welterbe der Menschheit erklärt
Von Roland Knauer
Bewaldete Hänge steigen hinter dem riesigen Ohrid-See mit seinem kristallklaren Wasser steil zu einem mehr als zweitausend Meter hohen Bergrücken hinauf, der schon jetzt im Herbst tief verschneit ist. Hinter dem Berg liegt der Prespa-See im Dreiländereck zwischen Albanien, Mazedonien und Griechenland. Mit seinen Schilfgürteln und den armen Dörfern am Ufer sieht er ganz anders aus als der 150 Meter tiefer liegende Ohrid-See, dessen Kiesstrände am Ostufer im Juli und August den Menschen im Binnenland Mazedonien die fehlende Mittelmeerküste ersetzen.

Vom Prespa-See (Anm.: auf dem Bild der rechte See) führt ein kleiner Pass zu einer weiten Ebene, die mit ihren Feldern und Weiden inmitten hoher Berge und tiefer Schluchten ziemlich fremdartig wirkt. "Vor 1930 plätscherten hier die Wellen des 55 Quadratkilometer großen Malik-Sees an die Ufer", erklärt der Hydrologie- und Biodiversitätsprofessor Spase Shumka von der Universität in Tirana. Nachdem der See trockengelegt wurde, entstand jedoch auf seinem ehemaligen Grund die Getreidekammer und der Gemüsegarten Albaniens. "Obwohl diese drei nur durch Bergrücken voneinander getrennten Regionen völlig unterschiedlich aussehen, haben sie doch die gleiche Geschichte und sind auch heute noch eng miteinander verbunden", ergänzt Gabriel Schwaderer von der Naturschutzorganisation Euronatur im deutschen Radolfzell. Er arbeitet eng mit Spase Shumka zusammen, der nebenberuflich als Projektleiter in der albanischen Naturschutzorganisation PPNEA tätig ist. Irgendwann vor wenigen Millionen Jahren bildete sich in der Region ein sogenannter Grabenbruch, in dessen tiefsten Stellen sich das Wasser zu drei Seen sammelte. Neben dem Baikalsee in Sibirien und dem Tanganjika-See in Ostafrika gehört das Gewässer damit zu den ältesten Seen der Erde, in dessen Fluten sich die dort lebenden Arten immer weiterentwickeln konnten.



Von der Weltkulturorganisation Unesco wurde der Ohrid-See daher als "Museum lebender Fossilien" zum Welterbe der Menschheit deklariert. Die nächsten Verwandten einiger dieser lebenden Fossilien schwimmen im Baikalsee, der rund 25 Millionen Jahre alt ist. Weil Flüsse ständig Schlamm und Schotter in die Seen spülen, verlanden die meisten stehenden Gewässer rasch. Einige Grabenbrüche aber vertiefen sich schneller, als die darin liegenden Seen verlanden. So ist der Baikalsee 1600 Meter tief, der zwei bis fünf Millionen Jahre alte Ohrid-See erreicht 290 Meter Tiefe.
Im Ohrid-See tummeln sich dann auch eine Reihe von Arten, die es nur dort und nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Sogar die eigene Forellen-Art Salmo letnica schwimmt im klaren Wasser. Einheimische und Touristen schätzten diesen "Koran" genannten Fisch auf ihrem Teller so sehr, dass er inzwischen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten gelandet ist.
Ein paar Kilometer weiter wird ein See gerade wiedergeboren. Die Äcker und Weiden auf dem trockengelegten Grund des ehemaligen Malik-Sees blieben früher nur trocken, solange das nachdrückende Wasser herausgepumpt wurde. Nach dem Übergang vom Sozialismus zur Marktwirtschaft aber fehlte der Regierung das Geld für den Betrieb und die Wartung der Anlagen. Nach dem Ausfall der Pumpen kommt der ehemalige Malik-See daher langsam wieder zurück, inzwischen blinkt eine kleine Wasserfläche in der Malik-Ebene.

Bevor dieser See trockengelegt wurde, war er über den Devoli-Fluss mit dem Kleinen Prespa-See verbunden. Dieser wiederum schickt Wasser über einen natürlichen Kanal in den vier Meter tiefer liegenden Großen Prespa-See. Dort hat sich die mit 1100 Brutpaaren weltweit größte Kolonie von Krauskopfpelikanen angesiedelt, die vor dessen Trockenlegung im Malik-See lebten. Möglicherweise ist aber auch ihre neue Heimat gefährdet. Denn der weitgehend als Nationalpark geschützte Prespa-See hat in den vergangenen Jahren viel Wasser verloren. Um einige Meter ist der Wasserspiegel gesunken. Den Grund dafür kennt auch der Hydrologe Spase Shumka nicht, weil die Verhältnisse an diesem Gewässer recht kompliziert sind.
So fließt aus dem 850 Meter hoch gelegenen Prespa-See (Bild) Wasser durch Spalten und Risse im Karst unter den 2200 Meter hohen Bergen in Richtung Ohrid-See. Als mächtige Quellen tritt dieses Wasser in Ufernähe und am Grund des Sees aus. Diesen unterirdischen Strom weisen Hydrologen mit radioaktiv markiertem Wasser nach.
"Die häufigen Erdbeben der Region könnten die Risse und Spalten im Karstgestein abrupt verändern", überlegt Spase Shumka. Fließt so mehr Wasser Richtung Ohrid-See und ändern sich gleichzeitig die Zuflüsse zum Prespa-See nicht, sollte dessen Wasserspiegel fallen. Allerdings haben sich auch die Zuflüsse verändert, weil der Klimawandel die Niederschläge in den vergangenen Jahren verringert hat. Wie wichtig der Einfluss des Klimas auf den Wasserspiegel des Sees ist, zeigte etwa der außergewöhnlich schneereiche Winter 2008/09. Nach der Schneeschmelze stieg der Wasserspiegel des Prespa-Sees dann um 80 Zentimeter. Weil die Ufer recht flach sind, vergrößerte sich dadurch die Fläche des Gewässers kräftig, entsprechend mehr Platz finden die Pelikane zum Fischen. Anderen Arten wie der Würfelnatter auf der Insel Mali Grad im Prespa-See sind Änderungen des Wasserspiegels dagegen ziemlich egal, weil sie sich sowohl an Land wie auch unter Wasser wohlfühlen.
Ein weiterer Faktor könnte den Wasserspiegel beeinflussen: Vor allem auf griechischer Seite pumpen Bauern viel Wasser aus dem Prespa-See, um damit ihre Felder zu bewässern. Vermutlich steuert also eine Kombination aller drei Faktoren den Wasserspiegel, den die Naturschützer von PPNEA und Euronatur mit Argusaugen verfolgen. Denn vom Wasserspiegel des Sees hängen neben den Krauskopfpelikanen etliche weitere Arten wie die Zwergscharbe ab, die selten sind oder sogar nur hier vorkommen.