Das Dorf Galicnik ist eigentlich ausgestorben. Alle Bewohner bis auf eine ältere Dame sind abgewandert. Doch jedes Jahr im Juli kehren die ehemaligen Bürger zurück, um im Dorf ihrer Vorfahren groß Hochzeit zu feiern.
Galicnik erwacht nur einmal im Jahr zum Leben
Das Dorf Galicnik liegt im Nordwesten Mazedoniens an einem Berghang - in einer schroffen und wilden Landschaft. Im Winter ist Galicnik durch Schnee und Eis vom Rest der Welt abgeschnitten. Die Einwohner haben das Dorf im Laufe der Jahrzehnte aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.
Doch an einem Wochenende im Juli wird Hochzeit gefeiert. Dafür kommen hunderte Schaulustige aus aller Welt nach Galicnik; handelt es sich doch um das größte Hochzeitsfest Mazedoniens.
Traditionen und ursprünglicher Lebensstil
Galicnik auf der Landkarte Will man dem Ursprung des alljährlichen Hochzeitsfestivals auf den Grund gehen, so muss man ins frühe 20. Jahrhundert zurückblicken. Damals lebten etwa 5000 Menschen in Galicnik und züchteten Schafe, der Ort war landesweit für seine Traditionen und den dazugehörigen Lebensstil bekannt. Viele berühmte Mazedonier stammen von hier.
Doch Galicnik wurde auch schnell zum Inbegriff der wirtschaftlichen Migration. Der Großteil der jungen Männer aus dem Dorf sah sich bald gezwungen, auswärts nach Arbeit zu suchen. Allerdings kamen sie regelmäßig zurück, um Freunde und Familie wieder zu treffen - und um im Dorf zu heiraten. 1936 zum Beispiel wurden 40 Paare am gleichen Tag getraut.
Wertvoller Hochzeitsschmuck
Der traditionelle Hochzeitsschmuck kommt auch heute noch zum Tragen
Im Dorfmuseum präsentiert Veselin Mihajlovski stolz eine Reihe von Objekten, die im Laufe der Jahre bei Hochzeiten gesammelt wurden. "Hier sehen Sie ein traditionelles Brautkleid. Vom Stil her finden Sie wohl in ganz Mazedonien kein wertvolleres, die feinen Stickereien sind alle in Handarbeit gefertigt. Das Kleid wiegt um die 22 Kilo. Jede Frau trug ihr Hochzeitskleid zwei Mal - bei ihrer Hochzeit und bei ihrer Beerdigung."
Veselin Mihajlovski ist stolz auf Galicnik, verbringt selbst aber nur die Sommermonate hier. Nur eine einzige ältere Dame, erzählt er, lebt das ganze Jahr über im Dorf.
An besagtem Juli-Wochenende drängt sich eine erwartungsvolle Menschenmenge durch die engen, gewundenen Straßen. Die Festivitäten, bei denen jahrhundertealte Bräuche, Lieder und Tänze zelebriert werden, dauern das ganze Wochenende. Am Samstag um 19 Uhr hat das Warten dann ein Ende.
Tausende Schaulustige säumen den Weg des Hochzeitspaares
Drei Salutschüsse ertönen aus einem Steinhaus in der Nähe. Gemäß dem offiziellen Programm kommen die Brautleute aus dem Haus des Bräutigams, wo dieser sich mit seinen Gästen versammelt hat und vom Balkon aus die mit Blumen verzierte mazedonische Flagge gehisst hat.
Doch Moment mal - der heutige Bräutigam und die Braut haben keinerlei Bezug zu Galicnik; sie sind bloß hier, weil sie einen Wettbewerb gewonnen haben! Vor acht Jahren beschlossen die Organisatoren nämlich, Paaren aus ganz Mazedonien die Möglichkeit zu geben, sich hier in festlicher Umgebung trauen zu lassen. Mit Traditionen hat die Auswahl des glücklichen Paares aus allen Bewerbern nichts zu tun: es gewinnt das Paar mit der hübschesten Braut.
Jahrhundertealte Rituale
Umrahmen das ganze Hochzeitswochenende: traditionelle Musiker
Aber bei den feierlichen Ritualen werden keinerlei Zugeständnisse an moderne Zeiten gemacht. Den ganzen Samstagabend und Sonntag über werden jahrhundertealte Rituale zelebriert. Der Bräutigam wird vor einem Brunnen rasiert - als symbolische Handlung, die für die Loslösung von seinen Eltern steht. Der Braut wird Zaumzeug übergestülpt - als Zeichen für ihren Gehorsam. Die ganze Zeit über begleitet eine Musikkappelle das Brautpaar.
Die 53jährige Dragitsa Drenkovska wurde hier geboren, wanderte aber im Alter von 20 Jahren nach Australien aus. Sie bereut es nicht, für eine Hochzeit nach Galicnik zurückgekehrt zu sein: "Mein Herz rast, und manchmal weine ich vor Glück. Es ist ein ganz besonderes Ereignis. Ich bin so glücklich, dass so viele Leute aus anderen Ländern hergekommen sind. So sehen die Menschen endlich, dass es Mazedonien immer noch als Mazedonien gibt. Ich bin sehr stolz, von hier zu stammen."
Ja-Wort vor Tausenden von Zeugen - Braut-Bad in der Menge
Am frühen Sonntagnachmittag nähert sich die Hochzeit dem feierlichen Abschluss, wenn sich Braut und Bräutigam in der Kirche das Ja-Wort geben. Von intimen Momenten kann keine Rede sein, denn sie werden dabei von Kamerateams, vom Sicherheitspersonal der angereisten Prominenten und von Schaulustigen aus aller Welt umzingelt.
Auch Pressekonferenzen sind für Frischvermählte anderswo eher unüblich. Hier nicht. Trotz des öffentlichen Rummels sind Vesna Dimitrovska und Marian Bladgevski überglücklich, in Galicnik geheiratet zu haben: "Es ist schon etwas anstrengend, aber auch eine Ehre, hier zu heiraten. Es ist ein tolles Gefühl", sagt der Frischvermählte.
Die große Hochzeit in Galicnik ein weiteres Mal gut über die Bühne gegangen. Die Gäste reisen ab und es wird wieder menschenleer. Bis auf die kleine ältere Dame, Galicniks einzige Einwohnerin.
Quelle: DW
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