Balkanluchs - Überlebt hat er nur in Mazedonien

Keine hundert Tiere seiner Art soll es mehr geben: Mit Fotofallen sind Forscher dem seltenen Balkanluchs auf der Spur. Von Roland Knauer


Viel Platz bleibt den Wildbiologen nicht. Links blockiert ein Felsbrocken jedes Durchkommen auf dem Pfad in 1700 Metern Höhe, rechts neigt sich der Waldboden schwindelerregend steil in die Tiefe des Shebenik-Jablanica-Nationalparks in Albanien, unmittelbar an der Grenze zu Mazedonien. "Rechts und links an dieser Engstelle haben wir Anfang März 2009 jeweils eine Kamera aufgebaut", erklärt Gabriel Schwaderer von der Naturschutzorganisation Euronatur in Radolfzell.

Passiert ein größeres Tier den Weg, löst es beide Kameras aus. Auf den Bildern hofften die albanischen Wissenschaftler um Spase Shumka von der Universität in Tirana und die deutschen Naturschützer neben Rehen, Gämsen und Bären auch eines der seltensten Raubtiere der Welt zu entdecken, den Balkanluchs Lynx lynx martinoi.

Von dieser Unterart des eurasischen Luchses sollen keine hundert Tiere mehr übrig sein. Alle leben in den Gebirgen, in denen die Grenze zwischen Albanien und seinen Nachbarn Montenegro, Kosovo und Mazedonien verläuft. Genau wie die Grenze zwischen den Staaten der Nato und des Warschauer Paktes gehörte auch diese Grenze früher zum "Eisernen Vorhang", der das isolierte Albanien einst von Jugoslawien trennte.

Die ohnehin schwer zugänglichen Gebirge wurden auf beiden Seiten von den Grenztruppen zusätzlich fast hermetisch abgeriegelt. Dadurch blieb ein Band mit relativ unberührter Natur, das sich um Albanien herum zog. Euronatur-Geschäftsführer Schwaderer war klar, dass der Balkanluchs nur hier, an der Grenze zu Albanien, überlebt haben konnte. Jäger und Gebirgsbauern berichteten den Naturschützern vom auch Pinselohr genannten Raubtier in den Wäldern der Region. Und manchmal wird ein Luchs von einem Auto überfahren.

Wie viele der seltenen Tiere überlebt hatten, wusste niemand, bis im Frühjahr 2008 regionale Naturschützer, die Schweizer Großraubtier-Forschungsorganisation Kora und Euronatur, unterstützt von der Schweizer Naturschutzstiftung Mava, im Mavrovo-Nationalpark auf der mazedonischen Seite 64 Kameras aufbauten. Im März und April tappten 29 Mal Luchse in die Fotofallen.

Weil das Tier von beiden Seiten fotografiert wird, können Spezialisten verschiedene Individuen durch Eigenheiten wie die Zeichnung des Fells auch auseinander halten. "Fünf bis sieben Luchse leben demnach in dem Untersuchungsgebiet, das mit rund 400 Quadratkilometern halb so groß ist wie Berlin", sagt Schwaderer. Damit war klar: Der Balkanluchs hatte überlebt.

Gespannt warteten die Spezialisten dann auf die Ergebnisse, die im März und April 2009 ähnliche Fotofallen im Shebenik-Jablanica-Nationalpark lieferten, der nach Vorschlägen von Euronatur, seiner albanischen Partnerorganisation PPNEA (Protection and Preservation of Natural Environment in Albania) auf albanischer Seite eingerichtet worden war - finanziell unterstützt von der Lufthansa. Das Ergebnis war niederschmetternd: Kein einziger Luchs tappte in die Fotofallen, deren Batterien wegen heftiger Schneefälle allerdings nicht regelmäßig gewechselt werden konnten.


Rehe und Gämsen ausgerottet


Offensichtlich leben auf albanischer Seite also viel weniger Luchse als in Mazedonien. Den Grund dafür glaubt der Hydrologie- und Biodiversitätsprofessor Spase Shumka zu kennen, der nebenberuflich für PPNEA Projekte leitet: Um das isolierte Albanien mit Energie zu versorgen, wurden seit den 1970er Jahren die Wälder stark abgeholzt. Damit verschwand der Lebensraum für die wichtigste Beute des Luchses, das Reh.

Als 1997 die staatliche Ordnung während eines Volksaufstandes völlig zusammen brach, gaben Wilderer Rehen und Gämsen den Rest: Sie rotteten die Tiere im Shebenik-Jablanica-Nationalpark entweder völlig oder fast vollständig aus. Bis diese Tiere aus Mazedonien wieder einwandern, dauert es vermutlich einige Jahre. In die Fotofallen gingen jedenfalls nur zwei dieser typischen Luchs-Beutetiere. Für den Balkanluchs gibt es im albanischen Nationalpark also derzeit wenig zu beißen.

Ein weiteres Fotomonitoring im Frühjahr 2010 soll zeigen, ob der ein oder andere Luchs aus Mazedonien mit der Zeit den Weg nach Albanien sucht.