Wie schmeckt, wie klingt und wie riecht Skopje in den vier Jahreszeiten?
Es gibt keine andere Macht, die stärker als die Wahrheit ist. Sie siegt immer und überall. Auch in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens. Die Hauptstadt dieses kleinen Landes auf dem Balkan hat viele Sachen erlebt: viele Ungewissheiten, Katastrophen und Zerstörungen. Aber es ist ihr immer gelungen, von Neuem zu beginnen. Alles zu überwinden und weiter zu leben. Spuren vom alten Skopje gibt es heute auch, aber das, was man heute in Skopje fühlt, sind die Gerüche, die Farben und die Klänge einer neuen modernen Zeit. Der Geist der modernen Zeit, der Geist des XXI. Jahrhunderts herrscht im Zentrum der Stadt. Im städtischen Handelszentrum (Gradski trgovski centar) kann man das XXI. Jahrhundert in Skopje am besten erleben. Und wie riecht die moderne Zeit? Gar nicht schlecht. Verschiedene Düfte von Naomi Campbell, Aqua di Gio, Davidoff und anderen schweben in der Luft von Skopje. Man kann die moderne Zeit schon in der Nase fühlen. Die Düfte sind mit den Klängen des schnellen Lebens der Skopjer vermischt und manchmal kann man denken, dass man sich in einer großen Weltmetropole befindet.
Vor diesem Zentrum kann man auch solche Düfte für komische Preise kaufen. Es gibt ein Paar Leute, die jeden Tag da sind, um ihre Waren zu verkaufen. Wo sie diese leicht verdunstenden Düfte finden, weiß niemand, aber manchmal, wenn man nicht so viel Geld bei sich hat, aber einen Duft dringend braucht, können diese Düfte gut passen, obwohl sie nur eine Kopie des Originals sind.
„Die Skopjer haben es immer eilig!“ habe ich einmal gehört. Aber nicht nur die Skopjer, habe ich gedacht, sondern auch die Luft in Skopje hat es eilig. Sie hat jede Sekunde einen neuen Geruch.Am Morgen riecht es hier im Zentrum am schönsten. Ein besonderer Geruch der frisch gebackenen Brötchen von den Bäckereien in der Nähe erobert Skopje. Man muss keinen Hunger haben. Es entsteht eine große Möglichkeit, dass man ihn nur wegen des Geruchs bekommt. Dieser Geruch reizt jeden Teil des menschlichen Körpers und man will diese Gegend nie verlassen. Wenn man Hunger hat, kann man ihn leicht löschen. Die Skopjer lieben es, im „Zuzu“ oder im „Vegera“ zu essen. Sie befinden sich in der Nähe voneinander. „Zuzu“ ist am Eingang des Handelszentrums und „Vegera“ gegenüber der Haltestelle „Rekord“. Die Kipfel von dort schmecken lecker, aber sie haben auch einen besonderen Geruch. Skopje riecht eigentlich nach deren Kipfel am frühen Morgen.
Am Mittag ist das Zentrum voll von Schülern. Sie gehen in die Schule oder nach Hause und das Zentrum ist so laut wie nie. Dann ist das Zentrum besonders lebendig. Es riecht überall nach der Jugend, nach der schönen schnell vorbeigehenden Jugend. Ein alter Freund meines Vaters sagt immer: „Wer sich jünger fühlen will, soll am Mittag im Zentrum der Stadt sein. Die Luft ist reiner dort und man kann leichter atmen. Es ist eine Luft ohne Sorgen und Probleme.“Und am Abend kann alles passieren. Die Gerüche des Alkohols und der Zigaretten sind da jede Nacht unvermeidlich. Die laute Musik von den Cafés trägt zu einer besonderen Atmosphäre bei. Aber nach zwölf Uhr übernimmt die Nacht die wichtigste Rolle und dann steht die Herrschaft der Nachtgerüche im Vordergrund.Dann riecht es überall nach Sternen, nach dem Mond oder, ja, nach Romantik. Die Skopjer haben einen guten Platz dafür reserviert. Am Kai des Flusses Vardar. In der Nacht kann man auf den Bänken viele verliebte Täubchen sehen. Der Fluss trägt zu der romantischen Situation bei. Der Vardar weiß alles, was da passiert. Aber der Vardar kann Geheimnisse bewahren. Und er bewahrt sie. Stolz und würdig. Aber wenn man sich von der Stadt und von ihrem manchmal harten Geruch erholen will, muss man nicht immer weit fahren. Nur einige Schritte vom Zentrum entfernt befindet sich der Stadtpark.
Da gibt es mehrere Diskos, auch Kneipen, und für die Leute, die Tiere mögen, auch den Zoo. In diesem Park kann man den Geruch der Freiheit fühlen. Den Geruch des freien Skopje. Die Skopjer lieben diesen Geruch. Deswegen sind die Parks immer voll von Menschen. Manchmal gehen die Leute nach gesundem Leben strebend dorthin. Die Luft ist frisch und die Gerüche der Frische sind in einer Mischung mit den Gerüchen der Natur. Die Gerüche der Natur können manchmal die Nase reizen, besonders nachdem es geregnet hat. Aber sie sind auf jeden Fall natürliche Gerüche: Gerüche der Bäume, des trockenen oder des weichen (von der Jahreszeit abhängig) Grases, des Mistes der Vögel oder der anderen Tiere, die da ihr Zuhause gefunden haben. Oder auch die Gerüche des Zoos... Am besten ist es am Mittag. Frische Luft, eine gute grüne Landschaft und Klänge der Vögel tragen zu dieser Schönheit bei. Nachts ist der Park besonders lebendig. Die Melodien der Gitarren, womit die Jugendlichen sich amüsieren, stehen für eine gute Stimmung bereit. Besonders im Sommer, weil manchmal die Kälte die Stimmung stört. Die Gerüche von Alkohol und Zigaretten leben dort jede Nacht, aber sie sind nicht stärker als die Naturgerüche. Der Abfall von den Partys bleibt manchmal neben den Mülleimern statt drinnen. „Aber Mensch, der Abfall ist auch ein Teil der Natur!“, sagte mir ein besoffener Junge. Wer schuld ist, weiß ich auch nicht. Die Herrschaft der Natur spielt da immer die wichtigste Rolle. Sie kann alles auf ihre eigene Art und Weise überwinden.
In Skopje gibt es mehrere Siedlungen: Aerodrom, Cento, Novo Lisice, Centar, Avtokomanda...Und jede sieht anders aus und klingt auch anders. Nur eine Sache ist allen gemeinsam. Und das ist der Geruch. Wenn man sich neben die Häuser oder die Gebäude bewegt, kann man denken, dass man sich im Reich des Essens befindet. Am Freitag riecht es nach dem Topf „Grav“ (mit Bohnen auf eine besondere mazedonische Weise zubereitet), im Herbst nach Ajvar (die Spezialität der mazedonischen Küche), früh am Morgen nach Brötchen usw. Dieser Geruch geht sehr schnell durch die Nasenhöhle und erobert jede Seele, egal ob es um eine mazedonische oder eine ausländische Seele geht. Dann will jeder hier bleiben.
„Wer einmal hierher kommt, will Skopje nie verlassen! Es gibt etwas besonderes in der Luft hier, und es macht jeden, der Skopje besucht, skopjesüchtig.“ Mit Lachen im Gesicht erzählt das Herr Stefan Petkovski, der 20 Jahre lang als Gastarbeiter im Ausland gearbeitet hat. Nach 20 Jahren lebt er wieder in Skopje. Und hier will er bis ans Ende seines Lebens bleiben. „Der Geruch der mazedonischen Küche ist etwas merkwürdiges. Es riecht nach Einigkeit, Aufopferung... nämlich nach Liebe. Das könnte man nicht überall erleben.“
Sein Vater, der alte Pero, wollte mir etwas zeigen. So sind wir zusammen zum alten Bahnhof im Zentrum der Stadt gegangen. Heute lebt dieser alte Bahnhof als Museum der Stadt Skopje. Über der Eingangstür des Museums kann man eine alte Uhr sehen. Und die Zeit bleibt dort unverändert. Sie zeigt immer noch 5:20 Uhr, die Zeit des Erdbebens in Skopje im Jahr 1963, als Skopje und die Skopjer die größte Katastrophe erlebten.
Der alte Pero stand genau vor der Uhr und sank in tiefe Gedanken. Was er damit wollte, konnte ich nicht begreifen. „Kannst du es fühlen? Ich komme immer hierher, wenn ich den Geruch des alten Skopje fühlen möchte. Hier ist nicht nur die Uhr, sondern auch die Zeit stehen geblieben. Es riecht genauso wie vor 43 Jahren, vor dem Erdbeben. Nicht jeder kann es fühlen. Ich kann es und so lebe ich auch länger.“
Und wie ist der Geruch? „Am besten; es riecht nach Sorglosigkeit, nach Frieden...“ erzählte der alte Pero unter Tränen. Unglaublich, habe ich gedacht. Ehrlich gesagt, erwartete ich hier lediglich einen Geruch von Schutt, von Sorgen und Weinen, aber... Diese Uhr, die die Erinnerung an das Erdbeben von 1963 wach hält, hat die Zeit zum Stehen gebracht. Unglaublich, muss ich sagen. Was für ein Widerstand ist das? Und zwar nicht nur von den Skopjern, sondern auch von einem einfachen Bau.
Ich bin noch einmal zu Besuch zu ihm gegangen. Er wollte mir etwas schenken. Schon beim Eintreten in sein Haus konnte ich den Geruch des Essens fühlen. Tetka Mare, seine Frau, hat wieder etwas Schönes gekocht. Lecker, habe ich gedacht. Es war der Geruch von Proja, das man mit Maismehl und Eiern und drinnen noch kleinen Stücken von Schafskäse zubereitet.Tetka Mare hat mich gefragt, ob ich einen Kaffee trinken möchte. Nach der Sorte des Kaffees fragen die alten Leute nicht. Sie kennen nur einen, unseren traditionellen Kaffee, den türkischen, starken, schwarzen Kaffee. Der Kaffee ist mit der Zeit Teil der mazedonischen Küche geworden, aber die Bezeichnung bleibt noch aus der türkischen Zeit, der Zeit, als Mazedonien fünf Jahrhunderte lang von den Türken besetzt war. Jede mazedonische Küche hat wenigstens zweimal am Tag diesen Geruch, den Geruch des schwarzen, türkischen, seit neuestem auch mazedonisch genannten Kaffees. Und er schmeckt auch.
Der alte Pero brachte einen interessanten Grund vor, warum er diesen Kaffee mag : „Ich habe immer gedacht, wenn ich diesen Kaffee trinke und zwar ohne Zucker, während manche ihn mit viel Zucker zu trinken pflegen, dass ich das Leiden, das bittere Schicksal meines Volkes trinke, und wenn ich diesen Kaffee austrinke, dann bleibt kein Leiden mehr. Dann kann ich ruhig sein, mein Volk wird nie mehr leiden.“
Das Geschenk war eigentlich ein Buch. Das Buch „Go sakam Skopje“ (Ich liebe Skopje, Skopje 2000) von Danilo Kocevski. „Obwohl man sagt, dass das Bild mehr als 1000 Wörter bedeutet, hat Herr Kocevski Skopje schön mit Wörtern beschrieben.“Ich habe einige Sätze aus seinem Buch übersetzt: „In der Geschichte von Skopje verändern sich die Zeiten, die Ereignisse und die Objekte so schnell, und man kann fast sicher sein, dass die Nostalgie der beste und treueste Freund der Skopjer ist. Die Skopjer greifen oft zu irgendetwas, das als Andenken an die alte Zeit bleibt. Auf diese Weise wollen sie die Gerüche und die Atmosphäre des alten Skopje lebendig machen.“ („Das alte und neue Skopje“)„In den unvergessenen Kinderträumen der Skopjer ist der Herbst das Reich der Konfitüren. Das Reich der Apfelkonfitüren, aber am meisten das Reich der Quittenkonfitüren. In den Träumen der älteren Skopjer ist der Herbst das Reich der Tomaten, der Paprika, der Peperoni, aber am meisten das Reich des Ajvars. Öffnen Sie diesen Herbst ein Konfitüreneinmachglas und probieren Sie es bitte aus. Das ist genug. Sie bräuchten keine andere Geschichte, um die alten Zeiten Skopjes zu spüren.“(„Der Geruch der Quitten“)
„Man kann leicht bemerken, aber nur wenn man mit Aufmerksamkeit schaut, dass das ganze Zentrum von Skopje voller Kastanien ist. Da herrschen ihre Gerüche. Vielleicht bemerken wir die Kastanien nicht immer, aber sie markieren die Geschichte der Stadt, ihre Herzen klopfen für das Leben der Skopjer. Die Kastanien können sich an die Geschichte des Kommunismus erinnern, auch an den Pluralismus gerade, weil alles unter ihnen oder in ihrer Nähe geschah oder geschieht. Sie sehen alles und können von allem erzählen, aber trotzdem hat man den Eindruck, dass sie lieber auf eine würdevolle und kluge Weise schweigen.“ („Kastanien“)
Skopje hat aber einen ganz anderen Geschmack am neuen Bahnhof. Und es schmeckt auch nicht so gut. Hier kann man das schnelle Tempo der Skopjer am besten erleben. Oder besser gesagt, die schnellen Autos, die die Skopjer fahren, kann man am besten erleben. Autos, Busse, ein starker Verkehr, der auf die Nerven geht. So ist auch der Geruch dort nicht der beste. Die Luft riecht nach dem Auspuffgas von den Wagen und man hat das Gefühl, dass man nicht richtig atmen kann. Der Lärm der schnellen Autos erhebt die Nervosität und die verschmutzte Luft stört die Nase. Deswegen würde ich jedem raten, an dem neuen Bahnhof nur vorbeizugehen. Oder nur einige Minuten da zu bleiben. Mehr besser nicht!
Ein alter Mann hat mir einmal gesagt: „Ich erlebe Skopje in jeder Jahreszeit anders. Skopje ist die Stadt, die Die vier Jahreszeiten von Vivaldi spielen kann!“ Ich habe lange überlegt, was er damit gemeint hat. Na ja, es kann sein.
Eine Kollegin von mir, Lela, hat zum Thema „Skopje, meine Stadt“ bei einem Seminar zu kreativem Schreiben geschrieben: „Der Sommer ist für den Klee und den Kai, kurze Röcke und mein Fahrrad. Der Herbst ist für den goldenen Park und für die weltbekannte Ajvarsaison. Die ganze Stadt hat Ajvargeschmack. Meine Lieblingsjahreszeit ist der Winter, wegen des Schnees, der Weihnacht und des Neuen Jahres. Im Frühling ist alles bunt und froh.“ Für mich hat der Frühling in Skopje den Geruch der Blumen, der Sommer in Skopje den Geruch des trockenen Grases, der Herbst in Skopje den Geruch des von den Bäumen gefallenen Laubs und der Winter in Skopje den Geruch der gebratenen Kastanien.
Ja, der Mann hatte Recht. Skopje ist eigentlich die Stadt, die Musik spielen kann. Und keine schlechte Musik, sondern die beste Musik, die Musik der vier Jahreszeiten.
Aneta Krstevska
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