Wildes Mazedonien: Bouldern in Prilep

© Nicolas Altmaier
Wo fangen wir an? Die Idee nach Prilep in Mazedonien zu fahren kam uns Anfang des Jahres, angeblich - so die Sage (und die Videos) -- sollte sich dort noch ein relativ unbekanntes Bouldergebiet verstecken. Also war es Anfang Mai soweit: eine illustre Truppe startete mit Crashpads und einem Bus gen Südosten mit dem Ziel "mal schauen, was da so geht", Caro, Kathi, Dirk und Shorty sollten ein paar Tage später per Flugzeug dazustoßen. Und um eines vorweg zu nehmen: Ja, da geht was! Aber sowas von! 

Mazedonien: Hügelland im ehemaligen Jugoslawien

Grundsätzlich ist Mazedonien ja tendenziell ein relativ unbekanntes Land, im Übrigen völlig zu Unrecht. Das kleine Land zwischen Griechenland, Serbien, Albanien und Bulgarien hat eine bewegte Geschichte und eine sensationelle Landschaft. Ein paar Eckpunkte zu Ersterem (den Rest sollte man sich mal auf Wikipedia anschauen): Alexander der Große war beispielsweise Mazedonier, im Osmanischen Reich spielte Mazedonien eine Rolle, unter Tito und dem jugoslawischen Sozialismus war Mazedonien Haupturlaubsziel und Tabaklieferant und auch in der jüngeren Geschichte gab es noch unmittelbare Auswirkungen der Kosovokrise mit bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Kosovaren, die als Kriegsflüchtlinge ins Land gekommen waren, den Albanern und den Mazedoniern. Auch wurde - zumindest von den USA - die "Republik Mazedonien" erst 2004 anerkannt, in Europa lautet die offizielle Bezeichnung nach wie vor FYROM (Former Yugoslaw Republic of Macedonia). Zur Landschaft kann man sagen, daß das Land unter Tito nicht ohne Grund zur Tourismushochburg ausgebaut wurde. Das Land besteht zu 80% aus Gebirge, davon durchaus auch hochalpines Gelände bis knapp 2800 Meter. 

Es geht los

Soviel dazu, ein bisschen Allgemeinbildung schadet ja auch nicht. Also wir sind Freitag nachmittag losgefahren und haben schon mal zwei Tage für die Anfahrt eingeplant. Für die etwa 1600 Kilometer sicher keine schlechte Idee. Am ersten Tag sind wir bis Belgrad durchgefahren, was in etwa 2/3 der Wegstrecke ist, danach wird es auch mit der Qualität der Autobahnen schlechter und einen guten Teil bis nach Skopje fährt man Landstraße, da die Autobahn in Serbien noch nicht komplett fertig gestellt ist. Die anderen vier kamen am Sonntag per Flugzeug aus München nach. Auch das ist eine Option, allerdings sollte man sich genau erkundigen, ob man das Crashpad als Sportgepäck aufgeben kann, ansonsten wird es vor allem bei den Billig-Airlines schnell teuer. Von Skopje kann man mit dem Taxi nach Prilep fahren (ca. 50 €), vor Ort kann man sich auch wunderbar mit dem Taxi bewegen. Übernachtet haben wir in einem Hotel mit etwas angekratzten sozialistischen Charme, das seine besten Tage hinter sich hatte - war aber für etwa 8 € die Nacht auch völlig in Ordnung. Allgemein sollte man sich darauf einstellen, dass Mazedonien ein relativ armes Land ist und man sich getrost von gängigen Qualitätsstandards verabschieden sollte. Nichtsdestotrotz sind die Leute extrem gastfreundlich und hilfsbereit. Die junge Bevölkerung kann meistens Englisch und die etwas Älteren sprechen zum Teil auch ganz gut Deutsch. 

In Prilep angekommen sind die Bouldersektoren unübersehbar an den umliegendes Bergkämmen gelegen und sehen völlig irre aus. Am besten kann man sich das wie eine Mischung aus Hueco Tanks (Höhe der Blöcke) und Hampi (völlig im Grünen gelegen) vorstellen, eine ziemlich einzigartige Mischung. Vor allem was die Panoramaausblicke oben angehen. Man kann nur schwärmen, wenn man das erste Mal in irgendeinen Sektor läuft: Diese Linien! Sensationell, wunderschön, logisch und ungeputzt... Das Potential dieses Gebiets ist unglaublich groß. Was man dabei haben muss ist neben einer richtig dicken Matte (oder besser mehreren), ein gut sortiertes Set an Bürsten und Schrubbern. Denn selbst wenn Horden von Boulderern (was nicht passieren wird) die nächsten zwei Jahre nach Prilep fahren, wird es auch dann noch Platz für viele Erstbegehungen geben. 

Shorty hat die Tage im Einzelnen zusammengefasst:

(1) Augen auf und ab nach Mazedonien 
Nach meinem guten Abschneiden in Kitzbühel blieb nicht viel Zeit zum Feiern und schon gar nicht zum Schlafen. Bereits nach zwei Stunden ging der Wecker los und seit ein paar Jahren ist es wirklich unklug seinen Wecker (Wecker=Handy) gegen die Wand zu werfen. In diesem Moment war ich jedoch ganz knapp davor. Mitten in der Nacht fuhren wir nach München, wo mich meine Freundin am Flughafen abgesetzt hat und ich mich mit einem Teil unserer Reisegruppe getroffen hab. Vom Flug selber hab ich außer dem Stoffmuster meines Vordersitzes nicht viel mitbekommen. 

Aber so langsam meldete sich mein Muskelkater zu Wort, welchen ich nach jedem Boulderwettbewerb nur zu gut kenne. Das bedeutet konkret: Jacke anziehen, unmöglich. Aufstehen, nur unter Schmerzen. Etwas von Boden aufheben, ein Ding der Unmöglichkeit. 

In Mazedonien (Skopje) angekommen lachten uns schon 30°C entgegen, und so konnten wir nach dem mäßigen Frühling in Deutschland auch erst einmal unsere Jacken verräumen. Von Skopje, der Hauptstadt aus, fuhren wir mit der kompletten Mannschaft zwei Stunden nach Süden, nach Prilep, von wo aus die Erkundungstour starten sollte. 

Ich war wirklich sehr gespannt auf das Land nördlich von Griechenland, denn wirklich viel ist von den Bouldergebieten in diesem Land nicht bekannt. Aber genau das Unbekannte reizte uns alle! Zwei Tage Boulderweltcup ist ja nicht genug und so machten wir uns schon direkt nach der Ankunft in Prilep ans Bouldern. Wie kleine Kinder rannten wir zwischen Blöcken umher und suchten nach schönen Linien. Wir wurden fündig, doch das sollte noch nicht alles sein. 

(2) Der Weg durch Trash Desert 
Der zweite Tag begann mit einem recht sparsamen Frühstück und einem wirklich ordentlichem türkischen Kaffee, auf welchen Dirk gleich einmal reingefallen ist und mit einem beherzten Schluck erst einmal den halben Kaffeesatz im Mund hatte. Die Frage, was das denn für ein Cowboykaffee sei, trug doch zu unserer Belustigung bei. Nachdem wir uns noch, wie die tausenden Eidechsen (in allen Formen und Farben), in der Sonne geaalt hatten, gingen wir wieder daran, neue Boulder zu finden und natürlich auch zu schaffen. Eine kleine Irrfahrt führte uns durch einige Viertel von Prilep, in denen man lieber nicht anhalten sollte. Nach einigen hundert Metern wurde auch die Straße langsam schmaler und man fuhr zum Schluss nur noch auf einer von Schlaglöchern (bis zu 30cm tief) übersäten holprigen Schotterpiste. Dabei wurden wir von unzähligen Leuten angestarrt, die sich entweder für uns interessierten oder für unsere Autoreifen. 
Was die Gegend angeht, ist diese nur so von Widersprüchen übersät. Landschaftlich ist es einer der schönsten Flecken Erde, den ich bisher gesehen habe, doch andererseits liegt auf den Wiesen so viel Müll herum, dass auf einigen Flecken kein Gras mehr zu sehen ist. Mülltrennung sieht wohl so aus: Zuerst verbrenn ich Gummi, dann verbrenn ich das andere Zeug. 

Nach dem wir uns durch das Müllfeld und die schlechte Straße zum Parkplatz vorgekämpft hatten, machten wir uns erneut an den Aufstieg. Dieses Mal in ein anderes Gebiet, wo wir auch schon mehr und vor allem schneller fündig wurden. Doch was uns noch nicht klar war: auch das sollte nicht alles gewesen sein. 

(3) The Turtle is all in 
Am dritten Tag unserer Reise im Süden Europas war uns das Glück mal wieder äußerst hold. Auf dem Weg zum Gebiet „Lake Side“, was schon einmal viel verheißt, trafen wir einen Vertreter des dortigen Alpenvereins. Dieser war nicht nur vertraut mit den Bouldern und Gebieten dort, sondern trug auch enorm dazu bei, dass neue Boulder erschlossen und von unnötigem Gemüse befreit wurden. 

Er zeigte uns dann ein neues Gebiet, in dem praktisch noch nichts erschlossen, geputzt oder geklettert wurde. Wie sich herausstellte - eine wahre Goldgrube. Ein Block neben dem anderen mit unzähligen, wunderschönen Linien. Ich denke man sollte sich selber ein Bild davon machen oder zumindest die Bilder von Nico Altmaier anschauen, der ebenfalls mit an Bord war und diese Szenerie und Impressionen mit seiner Kamera eingefangen hat. So ritt dort einfach einmal eine Gruppe Esel im Bild vorbei oder eine etwa 20cm große Schildkröte mit adidas-Streifen krabbelt über das Crashpad. 
Ich kann versichern, ich hab absolut nichts damit zu tun :) 

Im Laufe dieser Woche habe ich festgestellt, dass ich in Sachen Highballs doch ziemlich schmerzfrei bin, denn ein bis zwei Dinger, die wir gemacht haben, waren schon höher als 6 Meter. Jedoch wie sich später herausstellen sollte, hat Dirk (Uhlig) auf unserer Reise den höchsten Boulder geklettert. 

Am Abend haben wir uns entschlossen in ein traditionelles mazedonisches Restaurant zu gehen. Zwar bekamen wir eine englischsprachige Karte, doch mit der konnte man relativ wenig anfangen. Irgendwas war darin als "meat" betitelt. Nach den Speisen, die man so kennt, wäre demnach alles Hackfleisch gewesen. Dirk und ich haben uns etwas ganz feines gegönnt. „Sirdan“ ein Gaumenschmaus für echte Kerle. Wir haben zwar während dem Essen schon leichte Vermutungen gehegt, dass es sich um etwas Blutwurstähnliches handeln könnte. Wie wir jedoch danach festgestellt haben, war es noch schlimmer als vermutet. Tatsächliches war es gefüllter Schweinsdarm mit Schweinsinnereien. Lecker! 

(4) Skopje- Eine Stadt mit zwei Gesichtern 
Nach nun etwa vier Tagen klettern, freute ich mich und natürlich auch mein Körper auf einen wohlverdienten Ruhetag. Es sollte nach Skopje gehen, der Hauptstadt von Mazedonien. Einer der Jungs aus Freising, Jam Dzemajili, der aus Skopje stammt und dessen Familie wir dort besuchten, führte uns zusammen mit seiner Schwester durch die Hauptstadt. 

Ich denke an dieser Stelle sollte ich den beiden wirklich ein ganz ganz großes Dankeschön zukommen lassen. Ohne die beiden hätten wir es nicht einmal geschafft einen Kaffee zu bestellen. Jam ist nicht nur ein klasse Boulderer und absolut witziger Typ, er hat es auch echt drauf mit Leuten zu quatschen. So dauerte es keine Stunde in Skopje und schon standen wir in einem der größten mazedonischen Nachrichtensender und gaben ein exklusives Interview über mich und unseren gemeinsamen Trip. 

Interessant an dieser Stadt ist auch, dass es mitten in der Stadt eine Grenze gibt, ein Fluss, jedoch nicht nur eine geographische Grenze, sondern auch eine soziale. Auf der einen Seite sind eher christliche Einflüsse zu sehen, auf der anderen eher islamische. Auch hier sieht man auf beängstigende Weise die krassen Widersprüche in diesem Land. Während dich auf der einen Seite Menschen um etwas zu essen anbetteln oder sich nicht einmal Schuhe leisten können, wird auf der anderen Seite eine 50 Meter hohe Statue an die andere gebaut und auf erschreckende Weise Geld verschwendet. 

Ein Erlebnis, welches mir so schnell nicht aus dem Kopf gehen wird, war ein aufschlussreicher Besuch in einer dortigen Moschee, in die Jam als Kind öfters gegangen ist. Der Verantwortliche führte uns netterweise durch die rund 600 Jahre alte Glaubensstätte und gab uns einige Worte zum Nachdenken mit auf den Weg. „Man verbringet eine so kurze Zeit auf dieser Erde und sollte sich deshalb nicht mit schlechten Menschen umgeben, egal welcher Nationalität oder Religion.“ Die Gastfreundschaft in diesem Land ist wirklich eindrucksvoll. So zeigte er uns nicht nur seine Moschee, sondern erlaubte uns auch noch den uralten Turm der Moschee zu besteigen. Der Weg hoch auf den Turm führte über knarzende Treppen, welche sogar das schwere Erdbeben 1963 überlebten. Dieses Erdbeben zerstörte fast Dreiviertel der Stadt. Der zerstörte Hauptbahnhof und seine stehengebliebene Uhr sind noch Zeugen dieser Katastrophe. Aufgrund des geschichtlichen Hintergrunds, war jeder Schritt wohlüberlegt und das Gefühl war dementsprechend mulmig. Dieser Ausblick über die Stadt war jedoch Belohnung genug. 

(5) Sommer, Sonne, Partytime…äääh Bouldertime 
Am fünften Tag und somit meinem letzten Bouldertag führte uns unser neugewonnener "Reiseführer" in das mit Abstand beste Gebiet dieser Woche. Zwar war der Aufstieg mit deutlich mehr Anstrengungen verbunden, was die brennende Sonne nicht so richtig erleichterte. Doch wir haben es geschafft unseren Grashügel zu besteigen - und was uns erwartete, ließ unsere Kletterherzen höher schlagen. Wahnsinns-Linien, abgefahrene Felsstrukturen und geniale Boulder. 

Zwar sind, denke ich, die Schwierigkeitsbewertungen dort nicht so richtig ernst zu nehmen, aber uns ging es allen nicht um irgendwelche Grade, sondern allein darum, logische Linien zu klettern. Und das haben wir definitiv gemacht. 
In Mazedonien findet wirklich jeder Kletterer etwas, auch Dirk fand schnell sein bevorzugtes Gelände. Nachdem wir ihn schon länger Zeit nicht mehr gesehen haben, entdeckten wir ihn auf einem circa 100 Meter hohen Felsturm auf einem sehr markanten Hügel. Das war definitiv ein echt krasser Highball. Als er auf dem Gipfel stand hörte man einen lauten Schrei „Gipfel!!!“. Wir wollten nicht tauschen. 

Leider wurden wir gegen Abend von einem Gewitter überrascht, was den Abstieg deutlich schneller machte. Mit Blitzen im Genick und einem 15 Kilo schweren Metallstativ läuft man deutlich schneller. Nach einem schönen Abendessen mit leckerem Ouzo und ohne Innereien ging mein letzter Tag in Mazedonien zu Ende. Am nächsten Tag musste ich leider viel zu früh Abreisen. 

Doch eins ist sicher: I’ll be back! 


Für jeden was dabei

Nachdem Shorty wettkampfbedingt schon wieder abreisen musste, machte sich die restliche Gruppe macht dann noch einen Tag zu einem der höchsten Gebiete auf. Ein wahrlicher Gewaltmarsch, der aber auch mit viel Schweiß und fluchen bestritten wurde. Der gemeine Boulderer ist ja nicht unbedingt bekannt dafür, weite Zustiege zu favorisieren. Und auch hier gab es noch unendlich viele Boulder. Von der Verteilung der Schwierigkeiten kann man durchaus sagen, dass wirklich für jeden etwas dabei ist. Henklige, leichte Überhänge, Stehprobleme auf Reibung, niedrige Sachen, Highballs. Es gibt alles und das Alles gibt es überall. Man ist wirklich nicht darauf angewiesen eine 7B solide zu klettern, um hier Spaß zu haben. 

Wenn man boulderbegeistert und etwas Abenteuersinn verspürt, muss man mal in Mazedonien gewesen sein.

Quelle: kletterszene.com










Quelle> KLETTERSZENE.COM