Reisebericht von Family4Travel
Der Ohrid-See im Süden von Mazedonien ist ein Reiseziel, das anscheinend stark im Kommen ist. Auf unserem 10-monatigen Europa-Roadtrip waren wir schon dort. Gesehen haben wir eine spannende Altstadt unter dem Siegel des Unesco-Welterbe an einem bildschönen See mit Bergpanorama – in einem durchaus sehenswerten, aber auch gewöhnungsbedürftigen Land.
Ob wir überhaupt nach Mazedonien wollen, da sind wir uns anfangs gar nicht so sicher. Immerhin stand der kleine Nachfolgestaat Jugoslawiens noch 2001 am Rande eines Bürgerkriegs. Aber nach unseren sehr ambivalenten Erlebnissen in Serbien entscheiden wir uns Richtung Bulgarien doch für die Südroute. Das ist toll, denn auf diese Weise bekommen wir spannende Einblicke bei unseren Stippvisiten in Albanien, Kosovo – und eben Mazedonien. Kurz vor Weihnachten machen wir in der Hauptstadt Skopje Station und treffen dort die Couchsurferin Ana. Bei aller Skepsis gegenüber der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zieht uns das kleine Land so in seinen Bann, dass wir beschließen, auf dem Rückweg von Griechenland aus noch einmal hereinzuschneien und uns den Ohridsee anzusehen, von dem Ana so schwärmt.
Ohrid als Ferienort – na ja
In der Stadt Ohrid beziehen wir ein Apartment, das wir über eines der gängigen Online-Portale gemietet haben. Das Preisniveau ist allgemein günstig. Unsere Wohnung ist noch nicht ganz fertig. Offenbar hat es unser Vermieter eilig, mit dem Geldverdienen an der neu erschlossenen Touristenquelle anzufangen. Wir müssen einiges monieren und sind nicht ganz zufrieden. Andere Hotels und Ferienanlagen, an denen wir im Laufe der nächsten Tage vorbei kommen, sehen einladender aus – aber der nachlässige Balkan-Style lässt sich nicht leugnen. Schon zu Jugoslawien-Zeiten galt Mazedonien als Armenhaus des Staatenverbands. Auch heute ist das kleine Land eine der schwächsten Volkswirtschaften Europas. Unser Gesamteindruck ist besser als in Albanien und Bosnien-Herzigowina, aber das liegt hauptsächlich daran, dass nicht so viel Müll herumliegt. Insgesamt sind diese beiden Länder (in unserem subjektiven Empfinden) eher Bezugsgröße als das trotz allem fortschrittlichere Griechenland oder Bulgarien.
Die Altstadt von Ohrid erreichen wir zu Fuß. Mit 42.000 Einwohnern ist Ohrid schon eine der größeren Städte Mazedoniens. Es gibt eine Universität und sonst eigentlich nicht viel. Das bisschen Tourismus, das Mazedonien bisher akquirieren konnte, findet zum allergrößten Teil hier statt. Folglich gibt es eine nette Café-Szene und etliche hübsch zurecht gemachte Restaurants am See. Viele Läden bemühen sich um ein bisschen Trend und Style, trotz ihrer augenscheinlich begrenzten Mittel. Ich bedauere, dass wir uns die Angelegenheit nicht im Sommer angucken können, wenn alles schick gemacht ist. Im Februar sind die meisten Cafés und Restaurants freilich noch geschlossen.
Geheimnisvoller Ohrid-See
Wir laufen am Ufer des Ohrid-Sees entlang. Das Ufer besteht aus feinem Kies, das Wasser ist unglaublich klar. Obwohl der Himmel wolkenverhangen ist, sehen wir tausend kleine Fische im flachen Wasser schwimmen. Hier in der Nähe der Stadt ist das Ufer seicht, anderswo fällt es an Klippen steil ab.
Der Ohrid-See ist kein ganz gewöhnlicher Vertreter seiner Art. Gut 30 Kilometer ist er lang, halb so breit, und bis zu 287 Meter tief. Vor allem die Ausdehnung nach unten also ist enorm. Außerdem ist der Ohrid-See einer der ältesten Seen Europas. Mindestens zwei, vielleicht auch fünf Millionen Jahre hat er auf dem Buckel. Daher kommt es, dass hier einige Fischarten schwimmen, die nirgendwo anders vorkommen. Etliche davon, wie die Ohrid-Forelle, sind allerdings vom Aussterben bedroht.
Über einen Holzbohlenweg laufen wir unterhalb der Klippen direkt über dem Wasser. Ein Fischer bietet uns an, uns für wenig Geld eine Runde in seinem kleinen Boot über den See zu rudern. Aber wir sind verabredet. Wir treffen uns mit Hasan, einem ägyptischen Gaststudenten. Er ist der einzige, der auf unser Couchsurfing-Gesuch geantwortet hat. Hasan ist zwar kein Einheimischer im engeren Sinne, aber er zeigt uns trotzdem die Stadt. Wir verbringen einen wahnsinnig spannenden Nachmittag miteinander, an dem wir mindestens ebenso viel über Ägypten wie über Mazedonien erfahren.
Die antiken Schätze von Ohrid
Derweil besichtigen wir die kürzlich restaurierte Kirche von St. Kliment. Der Heilige war ein Einheimischer, Schüler der Slawenapostel Kyrill und Method und lokaler Erzbischof. Als er im 10. Jahrhundert in Ohrid ein Kloster gründete, lag die erste Blütezeit der Stadt schon lange zurück.
In der Antike hieß Ohrid Lychnidos und wuchs von einer illyrisch-makedonisch-griechischen Fischersiedlung aufgrund seiner Lage an einer byzantinischen Fernstraße Richtung Konstantinopel zu einer anständigen Polis heran. Das Amphitheater aus jener Zeit ist heute noch zu sehen. Wie ein Dimensionsloch prangt es mitten im Stadtzentrum.
Das religiöse Erbe von Ohrid
Ein Erdbeben besiegelte das erste Kapitel der Stadtgeschichte. Das zweite schrieben bereits die Slawen. St. Kliment und seine Leute christianisierten, und die Bulgaren machten Ohrid zum religiösen Zentrum ihres Reiches, und ein paar Jahre lang sogar zur politischen Hauptstadt.
Oben auf dem Berghang über Ohrid thront eine Festung. Die Fundamente stammen vermutlich noch aus der Antike, und auch der bulgarische Patriarch hat schon von hier aus geherrscht. Ihre heutige Gestalt verdankt sie den Osmanen, die die Region im ausgehenden Mittelalter eroberten und bis ins 18. Jahrhundert blieben. Bis Tito Mazedonien nach dem zweiten Weltkrieg seiner Jugoslawien-Idee einverleibte, stand die Region unter albanischer Vorherrschaft.
Diese kulturelle Mischung sorgte für eine äußerst interessante Stadtgeschichte auch in religiöser Hinsicht, deren Verwicklungen sich jedoch unmöglich in einem einzelnen Blogpost darstellen lassen (und außer mich hier wahrscheinlich ohnehin niemanden wirklich interessieren). Halten wir fest, dass Mazedonien im Allgemeinen und Ohrid im Besonderen ein – noch weitgehend unaufgearbeitetes – El Dorado für Historiker darstellen.
365 Kirchen soll Ohrid einst besessen haben, als es Zentrum des bulgarisch-orthodoxen Glaubens war. Ganz so viele sind es heute nicht mehr, aber wer auf Kirchenbesichtigungen steht, hat in Ohrid immer noch gut zu tun.
Antike Ausgrabungen mit Fragezeichen
Ein größeres Areal unterhalb der Festung nimmt das Ausgrabungsgelände ein. Hier wird mit EU-Mitteln gearbeitet, denn Mazedonien ist seit Jahren (immer aussichtsloserer) Beitrittskandidat. Warum die Fundamente eines großen Stalbetonbaus mitten zwischen die Ruinen gegossen wurden, erschließt sich uns nicht recht.
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